#keinRembrandt ist ein offenes Netzwerk aus kleineren Stadt- und Heimatmuseen, die gemeinsam spannende, emotionale, unglaubliche, tragische oder einfach unterhaltsame Geschichte(n) von vor der Haustür sammeln und vermitteln. Wir brauchen euch, um gemeinsam zu zeigen, dass Geschichte vor Ort stattfindet und – egal ob analog oder digital – ansprechend präsentiert werden kann: Zeigt uns eure Geschichten und Objekte, schließt unsere Lücken und helft mit, #keinRembrandt zum Botschafter für lokale Geschichts- und Kulturarbeit zu entwickeln!
Es bewegt sich was und starten mit unserem Projekt und Netzwerk #keinRembrandt – Geschichte(n) vor der eigenen Haustür entdecken!
Dabei wollen wir neue Wege gehen, nicht nur in Sachen Formate, sondern auch in der institutionsübergreifenden Zusammenarbeit! Im Hintergrund steht dabei immer die Frage „Wie können kleine Stadt- und Heimatmuseen mit wenig Personal und knappem Budget nachhaltige Relevanz erlangen?“. Das Netzwerk #keinRembrandt teilt Geld und Ideen, um gemeinsam an ein Ziel zu kommen, das für das einzelne Haus so nicht erreichbar gewesen wäre. Ein Werkstattmanifest aus einer kollaborative Projektschmiede.
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Im letzten Jahr hatte ich reichlich Anlass über Bewegung im Freien nachzudenken – ja auch in Quarantäne, aber nicht nur – und über besondere Anlässe und Gründe, warum Menschen gemeinsam draußen herumlaufen.
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Spinnräder, Truhen, kleinteilige Bodenfunde in spiegelnden Tischvitrinen. Detailverliebte Wandtexte und unbesuchte Räume – so kommen kleine Museen, besonders die Heimatmuseen alter Schule, gern daher. Auch wenn zahlreiche positive Beispiele der allgemeinen Wahrnehmung nach Kräften entgegenwirken, ist das Bild des typischen Heimatmuseums zementiert. Das Image ist selbst bei den eigenen Kostenträgern häufig nicht das beste, wie bedauernswerte Schließungen in letzter Zeit bewiesen haben...
Im letzten Jahr hatte ich reichlich Anlass über Bewegung im Freien nachzudenken – ja auch in Quarantäne, aber nicht nur – und über besondere Anlässe und Gründe, warum Menschen gemeinsam draußen herumlaufen. Neben Wandergruppen, die nicht wandern durften, und Demonstranten, die teilweise auch nicht wandern durften, gab es ja auch Spaziergänger, die keine waren. Hier in einem kleinen Ort zwischen Münsterland und Ruhrgebiet gab es um diese Dinge wenig Unruhe. Was den Menschen hier fehlte, waren ihre Prozessionen. Das Thema der kirchlichen Prozession fiel mich ein ums andere Mal an und ließ mich mit offenen Fragen zurück. Aus verschiedenen Gründen, die ich euch gerne gleich ausbreite, habe ich mich jetzt endlich damit mal befasst und möchte meine Überlegungen dazu gerne mit euch teilen. Hauptsächlich in der Hoffnung auf Ergänzung und weitere Bewanderung (ja wirklich) eurerseits.
Ich will ehrlich sein: ich bin zwar katholisch aufgewachsen, aber mit kirchlichen Prozessionen hatte ich trotzdem sehr wenig zu tun bevor ich nach Werne kam. Seit etwa einem Jahr ist nun aber ein neu renovierter Teil unserer Dauerausstellung zugänglich, in dem eine schöne Monstranz aus dem hiesigen Kloster als Blickfang einen zentralen Platz einnimmt. Und natürlich kommen jetzt die Kinder gelaufen, bestaunen das glänzende Ding mit der Vergoldung und den (gläsernern) Glitzersteinen und stellen Fragen: 1. „Ist das total teuer?“ (Nein, nur total wertvoll) 2. „Was ist das?“ (Damit haben Menschen früher die Hostie durch die Stadt getragen) 3. „Hä? Warum?“ (Mhhhh… Ja, also… Man stellte sich vor, dass auf diese Weise in der Hostie Jesus selbst gemeinsam mit seiner Gemeinde unterwegs ist und dass das besonderen Segen bringt.) 4. Entweder „Hää?“ oder Schweigen und ein kritischer Blick. Spätestens an dieser Stelle wird mir mein unzulängliches Verständnis der Angelegenheit offenbar.
Erschwerend kommt ein Problem hinzu, dass ich als „Altarpuzzle“ betiteln möchte. Das „Depot“ des Museums ist, wie es sich für ein Museum dieser Größe und dieses Alters gehört, eigentlich nur eine bessere Rumpelkammer gewesen als ich meinen Job hier antrat. Inzwischen ist es eine etwas ordentlichere Rumpelkammer und jedes Ding darin ist einmal gesehen und gedreht, unter anderem eine beunruhigend hohe Zahl an Einzelteilen, die wohl zu einem kleinen Prozessionsaltar einer Fronleichnamsprozession gehört haben müssen. Natürlich gibt es nicht den kleinsten Fitzel einer Dokumentation, wo der Altar stand, wie er aussah, ob es vielleicht sogar zwei Altäre waren…
Ihr seht also, ich hatte Anlass mich einzulesen.
Den ersten Einstieg bietet natürlich die kirchliche Sichtweise des Vorgangs. Hier findet man schnell zu den Beweggründen der katholischen Kirche, Menschen gemeinsam durch die Landschaft gehen zu lassen. Dies geschieht entweder, um einer Bitte Ausdruck und Kraft zu verleihen – Segen für die Fruchtbarkeit der Felder etwa – , um eine bestimmte Dimension des Glaubens erlebbar zu machen – das wandernde Gottesvolk beispielsweise – oder um etwas zu feiern und zu ehren. Die Fronleichnamsprozession fällt in die dritte Kategorie, denn die Teilnehmenden feiern dadurch die Vorstellung, dass Christus in der Eucharistie anwesend ist.
Mit etwas Vertiefung bieten dann religionswissenschaftliche Texte den Hinweis, dass Prozessionen natürlich keine christliche Erfindung sind, dass die Beweggründe für Prozessionen aber oft vergleichbar sind. Es geht zum einen darum, etwas zeigen zu können: Symbole, Status, Personenmenge, Wege und Grenzen, besondere Orte. Zum anderen geht es aber vornehmlich um die Erfahrung derer, die mitlaufen. Sie erfahren Gemeinschaft und zeigen diese nach außen, sie tragen sie meist in die Orte hinein, in denen sie leben oder auf die Felder, die sie bestellen. Damit entsteht ein Kontakt zwischen dem Glauben und dem Ort oder der Landschaft, der sonst im Alltag meist nur gedacht, aber nicht ausagiert wird.
Auch unser Prozessionsaltar ist ein Ausdruck dieser Verbindung. Privatpersonen bauten in ihrer Freizeit mit viel Mühe und Liebe solche Altäre vor ihre Häuser, Geschäfte oder Höfe. Frauen und Kinder schmückten die Altäre und Wege mit Blumen, die ganze Gemeinschaft bereitete also die Prozession zusammen vor und schritt dann zusammen den Weg der Prozession ab. Die Hostie, das Allerheiligste aus dem Innenraum der Kirche, wurde zu diesen Altären getragen und hob so das Engagement der Gemeinschaft in den Stand des Rituellen, quasi Liturgischen. Ich tue mich schwer damit ein weltliches Pendant zu einem solchen Vorgang zu finden, stelle mir aber vor, dass es für eine Gemeinschaft große Vorteile haben kann, solche Rituale umzusetzen.
Werne bietet zudem eine besondere Vermischung von Weltlichem und Religiösem in einer eigenen „Stadtprozession“. 1622 entging Werne im 30-jährigen Krieg einer Plünderung durch Christian von Braunschweig und seine Söldner. Die Quellen verweisen darauf, dass die Stadt durch Reiter aus Olfen beschützt wurde, aber der Volksmund wob die Legende, ein aufsteigender Nebel habe die Stadt „versteckt“. Die Bürger:innen waren so erleichtert, dass sie gelobten jedes Jahr eine Dankesprozession abzuhalten und dieses Gelöbnis haben sie über 400 Jahre gehalten: Jedes Jahr im Juni findet eine kirchliche Prozession statt, an der auch die Mitglieder des Stadtrates und der Bürgermeister teilnehmen. Im Anschluss an einen Gottesdienst schreiten sie einmal durch die Innenstadt, sagen Dank und loben Gott - das ist die kirchliche Seite – ; besprechen aber auch ihre Sicht auf die Stadt, Krieg und Frieden und die Gemeinschaft – das ist die Aufgabe des Bürgermeisters.
Natürlich kann die moderne Trennung von kirchlichen und weltlichen Belangen gar nicht auf ein Ritual aus dem 17. Jahrhundert angewandt werden. Für die damalige Bürgerschaft der Stadt gehörte beides zusammen. Interessant finde ich aber wiederum die rituelle Erfahrung der Gemeinschaft, in diesem Fall der Gemeinschaft der Bürger:innen der Stadt, die hierin liegt. Auch in der modernen Fortführung der Tradition lässt sich dies noch erspüren, wenn man an der Stadtprozession teilnimmt (auch wenn die Gruppe der Teilnehmenden leider hauptsächlich aus den katholischen oder zumindest christlichen Ratsmitgliedern besteht). Und wieder frage ich mich: bräuchten wir eine Übersetzung für diesen Ritus, um ihn fortführen zu können? Was sind die Riten unserer demokratischen Gemeinschaften abgesehen von Wahlen (die von einer Narration des Gewinnens und Verlierens geprägt sind) und Demonstrationen (die ausdrücken, dass sich die Gemeinschaft hier uneins ist)? Wo begehen wir Dankbarkeit für das Erreichte und versprechen für unsere Gemeinschaft einzustehen? Kann man das überhaupt erwarten? Wäre es kontraproduktiv, weil es notwendigen Auseinandersetzungen zuwiderläuft?
Alles nur Rumgegrübel. Fakt ist, dass das ganze gemeinschaftliche Gehen für die Stadt- und Stadtgeschichte wichtig ist und damit komme ich zurück zu meinem Puzzle. Mit etwas Geduld lässt sich der Prozessionsaltar durchaus weitgehend zusammenfinden und beeindruckt durch die schöne Schnitzarbeit. Für die Stadtprozession habe ich keine so hübschen Stücke vorzuzeigen (nur schriftliche Zeugnisse, die Besucher:innen normalerweise nicht lesen können). Wie macht ihr das eigentlich, liebe Museumskolleg:innen? Themen ausstellen, die für eure Orte ganz wichtig sind und zu denen ihr nichts zu zeigen habt? Und welche Zeugnisse vom gemeinsamen Bewegen schlummern in euren Sammlungen?
Für die Kinder, die das nächste Mal nach der Monstranz fragen, habe ich mir folgende Antwort überlegt: Die Menschen wollten fühlen und feiern, dass sie zusammen unterwegs sind. Weil ihnen ihre Religion sehr wichtig war, haben sie das so gemacht, dass sie ein wichtiges Ding – die Hostie – aus der Kirche in ihre Stadt getragen haben, zu ihren Häusern. Und für Feiern schmückt man alles, deswegen ist auch die Hostie feierlich eingepackt. Das teste ich mal und berichte, wie es lief.
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